Der soziale Aspekt des Biergenusses
Essen und Trinken sind lebensnotwendig und im Idealfall auch eine echte Gaumenfreude. In den meisten Kulturen steckt aber noch viel mehr dahinter als das schmackhafte Stillen von Hunger und Durst. Bestimmte Getränke – insbesondere Bier – haben sich in unserer Gesellschaft zu einem zentralen Bestandteil von unterschiedlichsten sozialen Situationen entwickelt. Bier ist Stifter von Geselligkeit und Gemeinschaft, Anstoß-Instrument in Momenten des Triumpfes und der Freude, aber auch Trostpflaster an weniger heiteren Tagen.
Beim gemeinsamen Anstoßen wird der Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe gestärkt. Stoßt man miteinander an, ist man miteinander. Im Englischen hat sich für all jene, die Bier vor allem im Rahmen sozialer Zusammenkünfte genießen, der Begriff „social drinker“ – was sich mit Gesellschaftstrinker übersetzen lässt – durchgesetzt. Die Motive, die hinter einem sozial motivierten Biergenuss stecken, sind vielfältig. Entspannung, Unterhaltung, ein Gefühl der Zugehörigkeit und das Feiern von besonderen Anlässen sind einige davon.
Das ist übrigens nichts Neues. Menschen zelebrieren Erfolge, Meilensteine, Feierlichkeiten aller Art sowie einfache Verabredungen bereits seit Jahrtausenden mit Bier. Zusammenkünfte, in deren Rahmen Bier konsumiert wird, lassen sich laut Archäologen bis zum Ursprung der menschlichen Zivilisation zurückführen. So zeigt etwa der Göbekli Tepe – ein prähistorischer Fundort in der südöstlichen Türkei – Beweise, dass dort bereits vor mehr als 10.000 Jahren Bier gebraut und in feierlichen Kreisen getrunken wurde. Die Produktion und der Konsum von Bier sind also seit jeher ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, im Rahmen von Festen, Gemeinschaftsarbeiten oder anderen Formen von menschlichen Zusammenkünften, einen sozialen Zusammenhalt zu ermöglichen und zu fördern.
Damals wie heute war und ist allerdings nicht jedes Aufeinandertreffen ein Grund zum Feiern und Jubeln, sondern häufig auch eine Gelegenheit, um füreinander da zu sein. Im Laufe der Geschichte hat sich die Aussage, dass Menschen in schwierigen Zeiten besonders zusammenrücken, immer wieder bewahrheitet. Egal, ob es das aktuelle Pandemiegeschehen, ein defektes Auto, Stress mit dem Chef oder eine brodelnde Beziehungskrise ist, die uns gerade auf der Seele liegt – bei einem kühlen Blonden diskutiert sich’s sowohl über Frohmütiges als auch Bedrückendes einfach leichter. Das reden wir uns nicht nur ein, sondern das sagt auch die Wissenschaft:
Forscher an der Oxford Universität haben herausgefunden, dass sich Personen, die sich regelmäßig auf ein Gläschen im Lokal treffen, mehr sozial verbunden und zufriedener fühlen und eher dazu tendieren, den Menschen in ihrem Umfeld zu vertrauen. Ebenso zeigt die Untersuchung, dass bei Leuten, die auf derartige Treffen mit Gleichgesinnten verzichten, häufig Gegenteiliges der Fall ist. Eine weitere Studie des Bier-Interessenverbandes CAMRA verrät, dass Menschen, die sich treffen, um miteinander anzustoßen, eine Gemeinschaft bilden, welche sich sogar positiv auf die Gesundheit auswirken kann. Ein regelmäßiger Wirtshausbesuch verbessert unsere sozialen Fähigkeiten und fördert dementsprechend auch die Formierung von Freundschaften, was wesentliche Auswirkungen auf unser allgemeines Wohlbefinden hat.
Ein Faktor, der in diesem Zusammenhang eine nicht unwichtige Rolle spielt, ist Regionalität. Ein Treffen, das im ortseigenen Wirtshaus beim Genuss von regional hergestellten Bieren stattfindet, sorgt nämlich gleich für eine doppelte Portion Gemeinschaftsgefühl. Das liegt daran, dass man sich nicht nur mit Leuten aus der Gegend über lokale Neuigkeiten austauschen kann, sondern durch den Genuss regionaler Produkte auch heimische Betriebe unterstützt. Ein gemütliches Zusammentreffen, bei dem sowohl der neueste Tratsch als auch die Wertschöpfung in der Region bzw. sogar in der eigenen Nachbarschaft bleiben – klingt nach einem klaren Fall von Win-Win.
Aber warum gilt unter allen alkoholischen Getränken Bier eigentlich als besonders gemeinschaftsfördernd? Mit deutlich weniger Alkohol pro Liter im Vergleich zu Wein oder Schnaps fällt ein moderater, aber gleichzeitig zufriedenstellender Alkoholkonsum bei Bier oft deutlich leichter. Zudem zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass unterschiedliche Arten von Alkohol auch verschiedene Emotionen hervorrufen. Bier wird in diesem Zusammenhang die Förderung von positiven Gefühlen nachgesagt, da der feine Gerstensaft beispielsweise deutlich weniger aggressiv macht als andere Getränke und demnach förderlich für ausgelassene und harmonische Zusammentreffen sein kann. Insgesamt zeigt die Studie, bei der 26.000 Menschen aus 21 Ländern befragt wurden, dass Bier aufgrund der unterschiedlichen Größen und Geschmacksrichtungen sehr vielfältige Genuss-Optionen bei sozialen Aufeinandertreffen bietet. Dies kann als einer von vielen Erklärungsansätzen gewertet werden, warum Bier in Österreich – wie auch in vielen anderen Ländern – mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 96,8 Liter als das beliebteste Getränk gilt.
Ein Punkt, in dem sich Wissenschaftler übrigens ebenfalls einig sind, ist die Tatsache, dass sich die Formierung und Aufrechterhaltung von Freundschaft und Gemeinschaft im Zuge vom Genuss alkoholischer Getränke – zumindest teilweise – face-to-face abspielen muss. In einer Welt, in der nicht nur Arbeit und Unterhaltung, sondern auch soziale Interaktionen immer mehr in den digitalen Bereich verlegt werden, braucht man also nach wie vor auch einen (physischen) Ort, an dem man mit den neuesten Geschichten im Schlepptau und dem Lieblingsgetränk in der Hand auf alte und neue Bekannte treffen kann. So gab es wohl selten einen angemesseneren Augenblick als jetzt, um den „sozialen Motor“ des Bieres zu zelebrieren und unseren Zusammenhalt durch ein gemeinsames Anstoßen zu stärken. Denn gerade in Zeiten, die von Spaltung, Kontaktverboten und Abstandsregelungen geprägt sind, ist ein Zusammenrücken durch das Hochhalten von Gemeinschaft und Miteinander wichtiger als je zuvor.